The Farewell

Feature Film, 2000, Cannes Film Festival.

Novoskop Film in co-produktion with WDR, ORB, SWR, ARTE, Studio Babelsberg and Independents/Artur Hofer.

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Story

An unusual hot summer. Bertolt Brecht is spending the last day of the vacation at his holiday home by a lake in Brandenburg, surrounded by women: his wife Helene Weigel, daughter Barbara, assistant Elisabeth Hauptmann, his former lover Ruth Berlau, actress Kaethe Reichel and Isot Kilian, one of his admirers. They spend the day swimming, smoking, arguing, eating, writing and sitting together in silence. This film depicting one of the last days in the poet’s life addresses love, hatred, passion, ambition, egoism, hope and betrayal, whilst portraying the ageing Brecht’s struggle for a future that he himself will have no part in.

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Jan Schütte about THE FAREWELL

The great challenge in concentrating the action on one day was how to bring together the very simple and the very complex aspects. Hell unfolds on a glorious day in late summer. The characters are meant to be uncompromising and highly complex, yet nonetheless a straightforward film. Brecht’s situation raises a question he also frequently tackled in his plays: to what extent should an artist become involved with the powers that be? Doesn’t such involvement mean making a pact with the devil?

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Crew

  • Regie / Jan Schütte
  • Drehbuch / Klaus Pohl
  • Kamera / Edward Kłosinski
  • Musik / John Cale
  • Schnitt / Renate Merck
  • Ausstattung & Kostüm / Katharina Wöppermann
  • Casting / Risa Kes
  • Produktion / Gesche Carstens, Henryk Romanowski, Jan Schütte
  • Redaktion / Joachim von Mengershausen, Cooky Zische, Susan Schulte, Andreas Schreitmüller
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Cast

  • Bertolt Brecht / Josef Bierbichler
  • Helene Weigel / Monica Bleibtreu
  • Elisabeth Hauptmann / Elfriede Irrall
  • Ruth Berlau / Margit Rogall
  • Käthe Reichel / Jeannette Hain
  • Wolfgang Harich / Samuel Fintzi
  • Isot Kilian / Rena Zednikova
  • Barbara Brecht / Birgit Minichmayr
  • Mann mit Hut / Tilman Günther
  • Weckwerth / Paul Herwig
  • Palitzsch / Claudius Freyer
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Kritik, H. G. Pflaum, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 15. September 2000

Das heilige Monster

Jan Schütte macht sich mit Sepp Bierbichler in ABSCHIED seinen Reim auf den späten Brecht

Ruhig und sehr friedlich liegt der Schermützelsee im Licht eines frühen Morgens im August 1956: Von Frauen umgeben hat Bertolt Brecht in seinem Landhaus bei Buckow den Sommerurlaub verbracht. Jetzt scheint ihn das Leben nach Berlin zurückzurufen; in Wirklichkeit aber wartet nicht das Theater, sondern der Tod auf den gefeierten Dichter. Jede Einstellung des zutiefst elegischen Films scheint insgeheim von der Ahnung des nahen Sterbens geprägt zu sein.

Im Park verbrennt Tochter Barbara die stinkende Mütze ihres Vaters, als müsse sie sich trennen von den Requisiten der Vergangenheit. Brechts grantelnde Suche nach der alten Kappe durchzieht die Geschichte wie ein running gag – und zeigt doch nur, wie schwer es dem alten, kranken Poeten geworden ist, den Blick für das wesentliche zu bewahren. Die anderen Anwesenden schützen ihn vor der Wirklichkeit.

Die blutjunge Schauspielerin Käthe Reichel umschwärmt Brecht und lässt ihn zeitweise seine Hinfälligkeit vergessen. Helene Weigel trifft ein Arrangement mit den Herren von der Staatssicherheit; sie sind angerückt, um den Dissidenten Wolfgang Harich, der bei Brechts zu Gast ist, wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« festzunehmen. Der kranke Dichter soll und wird es nicht wahrnehmen. Hypochondrisch notiert er seine Fieberkurven, angewidert und egoman lässt er Ruth Berlau abblitzen, die einstige Geliebte; ihr gemeinsames Kind ist früh verstorben, jetzt geht sie ihm mit ihrer Zudringlichkeit nur noch auf die Nerven; vergeblich versucht sie, ihr Unglück im Schnaps zu ertränken. »Wie viele Ziegen hast du zurzeit?«, fragt sie verbittert den Meister. An ihm prallt der Vorwurf ab: »Statt dass du dich freust, wenn’s mir gut geht«, entgegnet der Dichter.

Unordnung und spätes Leid

Harmonie verströmt nur die Landschaft. Die Menschen und ihre Beziehungen befinden sich in tiefer Unordnung. Noch scheint alles Leben um Brecht zu kreisen, doch der ist ein erkalteter Fixstern. Für die Frauen scheint er sich vor allem als Voyeur zu interessieren. Er sieht Harich und seiner Frau Isot beim Liebesakt zu und erhebt gleichzeitig Ansprüche auf die Frau seines Gastes – Ansprüche, die er selbst schwerlich einlösen könnte. Käthe Reichel weiß deshalb genau, wie sie seine Aufmerksamkeit gewinnen kann. In der DDR wurden Grundsteine für die Karriere nicht nur durch das Parteibuch, sondern auch auf erotischem Weg gelegt.

»Wir wissen um deine Feigheit«, klagt Wolfgang Harich, der engagierte Opponent Walter Ulbrichts; für Harichs Traum von einem selbständigen deutschen Sozialismus interessiert sich der Dichter genauso wenig wie für dessen verhängnisvollen Irrglauben an die einflussreichen Freunde in Moskau. Der große Brecht ist ein schwacher, harmoniebedürftiger Mann geworden. Er steckt noch immer voller Widersprüche, berührend in seiner Hilflosigkeit, monströs in seiner Egozentrik und ergreifend in seiner Ratlosigkeit. Brechts physische Schwäche ist indes keine Erfindung des klugen Drehbuchs von Klaus Pohl; auch die historischen Zeugen haben von der Hinfälligkeit des Mannes erzählt, der gerade erst 58 Jahre alt war, als er starb. Vielleicht hat sein gesundheitlicher Zustand die anderen Schwächen noch deutlicher geprägt.

Der eingebildete Kranke

Jan Schütte hatte bei der Besetzung die geradezu geniale Idee, Sepp Bierbichler den Brecht spielen zu lassen. Auf den ersten Blick sieht er zu massiv aus, seine körperliche Präsenz wirkt stärker als die intellektuelle: Aber gerade damit wird die Widersprüchlichkeit dieses Mannes noch gravierender, lässt seine Krankheit ihn stets etwas eingebildet und allürenhaft aussehen – und macht es der Umgebung leichter, Brechts Gesundheitszustand zu ignorieren. Bierbichlers optische Unähnlichkeit bewahrt den Film zudem vor jenem Imitations-Effekt, der so viele BIOPICS unterschwellig immer ein wenig zum Kuriosum macht. Was dem Darsteller äußerlich zu fehlen scheint, macht er durch sein Spiel mühelos wett: Egal, ob Brecht so ausgesehen hat oder nicht – er könnte so gewesen sein, ein sturen süddeutscher Dickschädel, dem das Kämpfen vergangen ist, der die Huldigungen einer FDJ-Gruppe gelassen entgegennimmt und ansonsten vor allem seine Ruhe haben will – während sich die Frauen gegenseitig belauern und darüber streiten, welcher von ihnen Brecht dieses oder jenes Werk verdankt, und die beiden Assistenten Wekwerth und Palitzsch devot und ohne jeden Widerspruch die Anordnungen ihres Meisters entgegennehmen. Nach diesem Film wird Brecht in der Erinnerung immer ein wenig wie Bierbichler aussehen. Gleichzeitg wird man ihn fortan mit Wehmut im Gedächtnis behalten, als exemplarischen Fall eines Künstlers, der sich vermutlich zu oft mit der Politik arrangierte und am Ende doch nicht davon hatte.

Damenopfer

Die Frauenrollen sind nicht minder überzeugend: Monika Bleibtreu spielt die Helene Weigel als starke, disziplinierte Frau, die notfalls mit der Stasi mauschelt und dennoch zu retten versucht, was sich nicht retten lässt. Margit Rogall wirft sich mit ungeheurem Mut in die Rolle der verzweifelten, hysterischen Ruth Berlau, die zu Brechts schmerzhaftesten Damenopfern gehört. Bewundernswert ist Elfriede Irralls Leistung als Elisabeth Hauptmann, die keine wirklich großen Auftritte hat, aber als verlässlicher dienstbarer Geist des Autors ständig präsent bleibt. Nur die Herren von der Staatssicherheit sind ein wenig zu Knallchargen geraten – aber vermutlich entspricht auch dies der Realität.

Am Ende, nachdem sich Brecht bei einem Streit mit Ruth Berlau eine blutige Nase geholt hat, lässt er sich im Auto, begleitet von Helene Weigel und Käthe Reichel, nach Berlin zurückfahren. Artig grüßen die Männer am Kontrollpunkt, wenig später verhaften sie Harich. Brecht hätte es im Rückspiegel beobachten können – er hätte einfach nur hinsehen müssen. Er tut es nicht.

Kritik, Stefan Steinberg, WSWS, 26.9.2000

Abschied – Brechts letzter Sommer

Ein überzeugendes Portrait des Dramatikers in seinen letzten Tagen

Der neue Film des Regisseurs Jan Schütte, Abschied – Brechts letzter Sommer, ist gerade in Deutschland angelaufen und feierte vor kurzem seine internationale Premiere beim Filmfestival in Venedig. Der Film handelt von einem Tag im Leben des Dichters und Dramatikers Bertolt Brecht. Es ist August im Jahre 1956. Brecht ist mit einem Gefolge von Familienmitgliedern und Theaterkollegen zu seinem Ferienhäuschen in brandenburgischen Buckow, nördlich von Berlin, gereist.

Die Datscha ist in einer wunderbar ländlichen Umgebung neben einem See gelegen – ideal, um in den Wäldern zu wandern und schwimmen zu gehen. Brecht ist mit den letzten Vorbereitungen für die Premiere seines Stücks Der Kaukasische Kreidekreis an seinem Berliner Theater beschäftigt. Gleichzeitig schreibt er Gedichte. Brecht ist fiebrig und fühlt sich unwohl. Im vergangenen halben Jahr wurde er von seinem schlechten Gesundheitszustand und den Symptomen eines schwachen Herzen geplagt. Am 14. August, drei Tage nach seiner Rückkehr nach Berlin, wird Brecht in Folge eines Schlaganfalls sterben.

Zu Beginn des Films sehen wir seine Frau, die Schauspielerin Helene Weigel, im Ferienhaus niedere Arbeiten erledigen und dabei Radio hören. Das Radio berichtet, dass die Polizei der DDR in Alarmbereitschaft versetzt ist und Barrikaden rund um Berlin errichtet hat. 1956 war ein Jahr des Aufruhrs in den Ostblockstaaten. Im Februar 1956 hatte der sowjetische Parteisekretär und das zukünftige Staatsoberhaupt Chruschtschow seine Geheimrede vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gehalten. Zum ersten Mal wurde auf einem Parteikongress auf Lenins Testament und dessen scharfe Kritik an Stalin verwiesen. Walter Ulbricht, Staatsoberhaupt der DDR, war unter den 1.500 Delegierten, die verblüfft und überrascht die unerwartete Parteikritik am »Großen Steuermann« vernahmen.

Obwohl Brecht offiziell kein Parteimitglied war, stand er als führende kulturelle Figur der DDR in ständigem Kontakt mit inneren Parteikreisen und war mit den Inhalten der Rede zutiefst vertraut. Nach dem großen Volksaufstand in Ungarn im Sommer 1956 und Studentenprotesten in Polen und der Tschechoslowakei kamen in der DDR Gerüchte auf, dass Stalins Mann in Berlin, Walter Ulbricht, zum Rücktritt gezwungen würde. Die Partei und der Staatsapparat waren nervös und viele ostdeutsche Oppositionelle und Dissidenten sahen eine Gelegenheit für tiefgreifende Veränderungen.

Brecht reist mit einer großen Gruppe nach Buckow. Von seiner Frau erwartet er, dass sie alltägliche Störungen und Ablenkungen von ihm abhält, damit er in Ruhe arbeiten kann. Seine Tochter Barbara ist auch anwesend. In einer symbolischen Geste und um ihrer Mutter einen Gefallen zu tun, verbrennt Barbara die geliebte alte Mütze ihres Vaters, deren Anblick Helene nicht länger ertragen kann. Als er am Morgen aufsteht, beschwert sich ein schwacher und entkräfteter Brecht bitter darüber, dass er seine schäbige, alte Kappe nicht finden kann – seine Fähigkeit zu arbeiten ist entsprechend beeinträchtigt.

Ebenfalls anwesend sind zwei von Brechts langjährigen Mitarbeiterinnen und ehemaligen Geliebten – Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau. Hauptmann hat ihr Dasein als bloße Sekretärin im zweiten Ring der Planeten, die um Bertolt Brecht kreisen, in weiten Teilen akzeptiert. Berlau gibt eine tragische Figur ab, sie leidet unter Anfällen von geistiger Instabilität und Wahnvorstellungen, weswegen sie sich regelmäßig einer Elektroschock-Therapie unterzieht. Sie hat ihre Jugend und ihre Reize verloren und kann es nicht ertragen, die zweite Geige zu spielen neben den jungen attraktiven Schauspielerinnen, die nun in Brechts Gunst stehen. Sie liegt im heftigen Streit mit Weigel, scheinbar um deren Position als Hauptstütze in Brechts Leben zu übernehmen.

Die aufsteigende Schauspielerin Käthe Reichel, Brechts neueste attraktive und junge Geliebte, springt nackt in den nahegelegenen See. Später am Tag bekommt sie am See Gesellschaft von dem jungen, regimekritischen Publizisten und Theoretiker Wolfgang Harich und seiner jungen Frau Isot Kilian, mit der Brecht auch eine Affäre hatte.

Harich führt ein offen politisches Motiv in den Film ein. 1956 war Harich zusammen mit Walter Janka (dem Kopf des Aufbau Verlags, Hauptherausgeber von Brechts Werken in der DDR) Ulbrichts prominentester öffentlicher Kritiker. Harich und Janka forderten eine radikale Reform der SED.

In ihrer Behandlung der Figur Wolfgang Harichs haben sich der Regisseur Jan Schütte und der Drehbuchautor Klaus Pohl einige Freiheiten gegenüber den historischen Fakten herausgenommen. Im Film tauchen Mitglieder der DDR-Geheimpolizei, der Stasi, an der Datscha auf und warnen Weigel, dass sie die Verhaftung Harichs vorbereiten. Als die Polizei geht, ist Weigel hin- und hergerissen zwischen der Dringlichkeit, Harich zu warnen, und dem Wunsch, jeglichen Skandal zu vermeiden – letzteres vor allem, um den körperlich schwachen Brecht zu schonen. Schließlich siegt Weigels Loyalität zu ihrem Mann über alle anderen Gefühle – und am Ende des Films wird Harich von der Polizei verhaftet.

Was die Wirklichkeit angeht, so ist es wahr, dass Brecht mit Harich vertraut war und politische Diskussionen mit ihm führte. Es war kein Geheimnis, dass Brecht eine Affäre mit seiner Frau hatte. Harich wurde allerdings erst im November 1956 verhaftet. Bei seiner Vernehmung und im Prozess wurde er einer Verschwörung gegen die DDR beschuldigt und zusammen mit Janka zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Im Laufe seiner Vernehmung erklärte er, dass Brecht in privaten Gesprächen mit seinem Wunsch nach einem Wandel in der Partei übereinstimmte.

Obwohl die ländliche Umgebung im Film friedlich und idyllisch ist, erfahren wir bald, dass es in Brechts Gefolge vor Spannungen und Konflikten brodelt. Berlau ist stark angetrunken und wartet liegend auf Brecht, fordert seine Aufmerksamkeit und Zuneigung ein. Er weist sie rüde ab und bevorzugt die Gesellschaft der jungen Käthe. In einer anderen Szene beleidigt Brecht unbeabsichtigt Hauptmann. Als er seinen Fehler unmittelbar darauf erkennt, ist er aufmerksam und höflich und bittet sie um Vergebung.

Brechts gesamte Laufbahn war dem Theater gewidmet und in Schüttes Film erscheint Brechts Privatleben als eine Verlängerung seines Lebenswerkes. Wie bei der Arbeit mit seinem Theaterensemble ist es hier der Privatmann Brecht, der die Rangordnung in seinem Haushalt bestimmt – wobei er abwechselnd Drohungen, Verwünschungen, sanfte Worte und Entschuldigungen einsetzt, um ein gewisses Maß an Ordnung und Stabilität in der Gruppe aufrechtzuerhalten.

Die gesamte Gruppe kommt zum Mittagessen zusammen. Es scheint eine strikte Sitzordnung am Tisch zu geben. Man erwartet das Schlimmste und wird nicht enttäuscht. Berlau greift Weigel scharf an, um darauf von Brecht ernsthaft ermahnt zu werden. In einer späteren Szene gibt es eine wütende Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen darüber, wer von ihnen im Wagen mit Brecht nach Berlin zurückfahren wird. Der Schauspieler Josef Bierbichler, der kürzlich bei einem Portrait von Brechts Galileo durch seine herausragende Leistung auffiel, bietet eine durchgehend überzeugende Darstellung eines herben Brechts, der zuweilen charmant und höflich, manchmal jedoch bei seinen Maßregelungen brutal verletzend ist.

Es bleibt der Eindruck eines Manns, der seinen vorausgegangenen Lieben ebenso anhängt wie seiner Lieblingskappe. Unwillig oder unfähig sich von seinen alten Beziehungen zu lösen, versucht er, es mit allen zu halten. Die Folgen für sein Privatleben sind ein Albtraum.

Interessant ist, dass eines seiner letzten intimen Gedichte, das er kurz vor seinem Tod verfasste, nichts über seine persönlichen Beziehungen aussagt. Statt dessen vermittelt es uns den starken Eindruck eines Mannes, der von Herzen wünscht seine letzen Tage in Frieden und Ruhe zu verbringen.

Vergnügungen
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene alte Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein.

Der Applaus für den Film bei seiner Premiere in Brechts eigenem Theater am Schiffbauerdamm war höflich aber gedämpft. Solch eine Veranstaltung zieht in Berlin eine große Anzahl Verehrer an, nach deren Meinung Brecht nichts Falsches gemacht haben kann. Diese Leute waren offensichtlich nicht begeistert von dem Film. In Presseinterviews hat der Regisseur Schütte kein Geheimnis aus der Tatsache gemacht, dass er mit der wirklichen Abfolge der Ereignisse gespielt hat und der Film gelegentlich von den historischen Ereignissen abweicht. Solche Entschuldigungen können allerdings die vielen Brecht-Puristen nicht versöhnlich stimmen. Tatsache ist, dass Schüttes Brecht-Portrait nicht besonders schmeichelhaft ist.

Die Rezensionen in der Presse waren mehrheitlich kritisch. Eine Reihe von Kritikern beschuldigte Schütte, Brecht als einen »feigen Hund« dargestellt zu haben und sein Denkmal vom Sockel stoßen zu wollen. In einem Anfall von Haarspalterei beschwerte sich die Berliner Zeitung, der Schauspieler Josef Bierbichler sei »einen Kopf zu groß sei, dessen Leib etwa dreißig Pfund zu schwer und dessen Stimme circa fünf Oktaven zu tief«. Weiterhin kritisierte die Rezension den Film für sein »Desinteresse an der Wahrheit« und dafür, dass er Brecht und die nationale Opposition gegen Ulbricht in Verruf gebracht hätte, durch seine Darstellung Harichs als Vertreter eines »sinnlosen revolutionären Schwadronierens«.

Insgesamt machte diese spezielle Rezension deutlich, dass maßgebliche politische Kreise am Werk sind, die eine Erinnerung an Brecht und Harich als unbeirrte Gegner von Ulbrichts stalinistischer DDR bewahren wollen. Tatsächlich waren Harichs Vorschläge für eine politische Alternative in der DDR auf ihre eigene Art so beschränkt wie diejenigen, über die Brecht nachdachte. Der Unterschied zwischen den beiden Männern liegt in der Tatsache, dass Harichs offen seine Kritik am Regime formulierte, während Brecht seine Opposition auf private Gespräche und Tagebucheinträge beschränkte und sie in der Öffentlichkeit nur in extrem kryptischen Formulierung vertrat.

Auch wenn Harich eine Reihe stalinistischer Aspekte der SED-Politik kritisierte und eine Reform des Parteiregimes forderte, war seine eigene Alternative eines »besonderen deutschen Wegs zum Sozialismus« ein Nachhall von Stalins eigener nationalistischen Perspektive. Ähnlich ging Brechts Kritik an der Partei nie über Vorschläge für eine Reform des Apparats hinaus. Gegen Ende seines Lebens sah er in China eine mögliche Alternative, erklärte seine Begeisterung für die chinesische Revolution und hängte sogar eine Bild des Vorsitzenden Mao über seinen Schreibtisch.

Jeder, der sich Abschied – Brechts letzter Sommer in der Erwartung ansieht, in dem Film würde das Leben Bertolt Brechts präzise dargestellt, wird enttäuscht sein. Tatsächlich ist es schwer sich einen Film vorzustellen, der den turbulenten Zeiten und dem unruhigen Leben Brechts, einer der führenden kulturellen Figuren des zwanzigsten Jahrhunderts, gerecht werden könnte. Jan Schütte hat einen weniger ambitionierten, sorgfältig gezeichneten Film gedreht, der fruchtbar ist und ein Licht auf die komplexe Figur Brecht wirft. Der bleibende Eindruck des Films ist der eines Mannes, der durch und durch erschöpft und von den unzähligen Kompromissen belastet ist, die er sowohl im privaten wie auch im politischen Leben machte. Trotz der Tatsache, dass Bierbichler körperlich nicht gerade ein Double Brechts abgibt, ist seine Darstellung des deutschen Bühnenautors bewundernswert. Auch Monica Bleibtreu als Helene Weigel ist hervorragend.

Kritik, Claudia Voigt, DER SPIEGEL, 24.10.1999

Letzter Tag in Buckow

In Jan Schüttes Brecht-Film spielt Josef Bierbichler den Dichter am Vorabend seines Todes.

Die Reiseschreibmaschine, ein Original aus den Fünfzigern, thront auf einem dunklen Holztisch, daneben ein Bleistift, ein Aschenbecher und Zigarren. Vom Arbeitsplatz schweift der Blick über einen ruhigen, spätsommerlichen See. Alles ist wie in Buckow, wo Bertolt Brecht 1952 ein Landhaus pachtete. Nur ist das hier nicht Buckow, sondern Szczecinek in Polen.

Fast sechs Wochen lang haben der Regisseur Jan Schütte und sein Team hier einen Film unter dem Arbeitstitel »Brecht« gedreht, ein Werk über den letzten Tag im Leben des Dichters. Alles, was im Drehbuch steht, sei so passiert, erzählt der Autor Klaus Pohl, nur nicht an einem Tag und nicht an einem Ort: »Ich habe, genau wie Brecht, alles Material verwendet, das da war, und es auf zwölf Stunden verdichtet.«

Die Story des Films beginnt mit einem anonymen Anrufer am frühen Morgen und endet mit Nasenbluten am Abend. Dazwischen liegen heimliche Begegnungen mit seinen Geliebten und kleine Fluchten vor seinen Ex-Geliebten: Käthe Reichel und Isot Kilian, Helene Weigel, Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau erschweren und versüßen ihm diesen fiktiven Spätsommertag am See. »Die Frauen waren seine einzige Verbindung zur Welt«, glaubt Pohl, »denn Brecht war scheu und zuletzt auch sehr isoliert.«

Drei Jahre hat es gedauert, bis Pohl und Schütte ihr Projekt realisieren konnten: Ursprünglich sollte es ein mehrteiliger Fernsehfilm werden über sehr unterschiedliche Phasen in Brechts Leben – seine erfolgreichen Jahre in Berlin, die Zeit im Exil und seine Rückkehr nach Deutschland, in die DDR. Doch dann nahmen Geldgeber Zusagen zurück, »und schließlich«, berichtet Schütte, »habe ich das Geld 20 000-Mark-weise selber eingesammelt«.

Realisiert wird auf einem stillgelegten Campingplatz bei Szczecinek nun nur der dritte Teil des ursprünglich geplanten Projekts. Unten am See sind Kopien der Buckower Villa und des Gärtnerhauses aufgebaut, und es gibt wie dort auch eine Silberpappel - die ist allerdings ein Geschenk der Natur. Das ehemalige »Bufet« am oberen Ende des Zeltplatzes heißt während der Dreharbeiten »Jan’s Dreigroschenbar« und verfügt nicht bloß über eine große, sonnige Terrasse, sondern auch über einen biergefüllten Kühlschrank.

»Brecht geht's schlecht«, ruft die Schauspielerin Elfriede Irrall als Elisabeth Hauptmann und rennt die Stufen der Villa herab; »Brecht geht's schlecht«, ruft sie noch mal und noch mal – die bei Filmdreharbeiten üblichen Wiederholungsrituale. Laut Drehbuch ist der Dichter dem Tod schon verdammt nah; die Stimmung am Set aber ist bestens. Drehbuchautor Pohl sitzt mit dem Brecht-Darsteller Josef Bierbichler vor der Dreigroschenbar in der Sonne und fuchtelt mit einer Ausgabe des Magazins »Konkret« herum, während beide über Tagespolitik diskutieren.

Bierbichler ist für Regisseur Schütte die Idealbesetzung für die Rolle des Dichters – sogar die Züge des am Ende seines Lebens dicklichen, herzkranken Brechts seien denen Bierbichlers doch durchaus ähnlich.

Wenn Bierbichler in sackigen Tweedhosen und blauer Joppe vor der Kamera sitzt, an einer Zigarre zieht und gedankenverloren auf den See starrt, macht seine Präsenz ohnehin alle Vergleiche überflüssig. Der Brecht-Darsteller verkörpert jene Lebensmüdigkeit, die der Dichter so beschrieb: »Erst liess Freude mich nicht schlafen / Dann hielt Kummer nachts die Wacht / Als mich beide nicht mehr trafen / Schlief ich. Aber ach, es bracht / Jeder Maienmorgen mir Novembernacht.«

Der reale Brecht starb am 14. August 1956 eine Viertelstunde vor Mitternacht in seiner Wohnung in der Ost-Berliner Chausseestraße 125. Nicht um historische Genauigkeit gehe es ihm und seinen Mitstreitern, sagt Schütte, sondern um die Beschwörung eines Abschieds: »Man muss diesen Film verstehen können, ohne zu wissen, wer Brecht war: als die Geschichte eines berühmten Mannes in einer ausweglosen Situation.«

Kritik, Rolf von der Reith, TV TODAY, 2.9.2000

»Jan Schüttes Film lässt subtil, ohne allzu viel Dialog die komplizierte Verflechtung der Leben in Brechts Entourage lebendig werden. Das bedrohte Idyll wirkt so zerbrechlich wie am Ende auch Brecht selbst, niedergestreckt von einem Fieberschub. Großartig dabei: Josef Bierbichler als Dichter, bärbeißig, struppelbärtig, schwerfällig – wenn er will, jedoch verdammt charmant. Richtige Kino-Gänsehaut aber verursacht erst John Cales Klaviermusik, die zarte, melodiöse Akzente setzt, während allerseits die Lebenslügen offenbar werden.

FAZIT. Ein stilles, meisterliches Psychodrama, auf seine Art spannender als jeder handelsübliche Thriller.«

Kritik, Reinhard Wengierek, DIE WELT, 7.9.2000

»Man darf glauben, dass Brecht der Film von Pohl und Schütte (Kamera: Edward Kłosinski) gefallen würde. Ist er doch groß in seiner Tragik, schön in seiner Wahrhaftigkeit, packend im Schauspielerischen. Die scharfe Zeichnung eines Genies im Gefängnis seiner privaten und politischen Obsessionen. Trotzdem würde Brecht den Film wohl wegschließen lassen. Damit keiner ihn sehe in seinem Schweiß aus Wut und Angst.«

Kritik, Rainer Gansera, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 14.9.2000

»Abschied ist kein Dokumentarspiel, sondern ein verdichtetes Bild des zweifelnden, verstörten Brecht, der ahnt, dass es ein Fehler war, sich mit dem DDR-Staat einzulassen; der erkennen muss, dass in seinem Harem niemals jene Harmonie herrschen wird, die er gebieterisch einfordert. Nicht demontiert wird die Faszination des Genie-Egozentrikers Brecht. Sie wird sichtbar als eine der geistigen Aura, des intellektuellen Zaubers. Josef Bierbichler gelingt es wunderbar, dieser Faszination Gestalt zu geben.«